An Heinrich Heine - Hector Berlioz
Heinrich Heine (1797-1856) pflegte zu zahlreichen zeitgenössischen Musikern persönliche Kontakte. So zu Robert Schumann, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Liszt, Richard Wagner u.a. Besonders innig und freundschaftlich waren Heines Beziehungen auch zum französischen Komponisten und Musikkritiker Hector Berlioz (1803-1869). Im sechsten Brief aus der von Berlioz verfassten "Lebenserinnerungen" aus dem Jahre 1843 schrieb Berlioz während einer Deutschlandreise einen längeren Brief an Heine, den wir hier für unsere Musik - und Literaturfreunde veröffentlichen:
Quelle: "Lebenserinnerungen" von Hector Berlioz
Übersetzung ins Deutsche von Dr. Hans Scholz
An Heinrich Heine
Braunschweig. Hamburg
An Heinrich Heine
"Ich habe in der trefflichen Stadt Braunschweig in jeder Weise Glück gehabt; auch hatte ich zuerst die Absicht, mit
dieser Erzählung einem meiner persönlichen Feinde aufzuwarten, das hätte ihm Freude gemacht! ... Ihnen, mein lieber Heine, wird die Beschreibung dieses Musikfestes vielleicht Pein bereiten. Die Jmmoralisten behaupten, in jedem Glück, das uns begegne, liege etwas Unangenehmes für unsere besten Freunde; aber ich glaube das ganz und gar nicht! Das ist eine elende Verleumdung, und ich kann beschwören, daß mir unerwartetes Glück, wie es einigen meiner Freunde zuteil wurde, in keiner Weise unangenehm war, so glänzend es auch sein mochte!
Genug! Begeben wir uns nicht auf die dornigen Gefilde der Ironie, wo Wermut und Euphorbien im Schatten von Nesselstränchern blühen, wo Schlangen und Kröten zischen und quaken, wo das Wasser der Seen brandet, wo die Erde bebt, der Abendwind sengt, die Wolken im Westen wetterleuchten! Denn wozu sich auf die Lippe beißen, unter halb geschlossenen Augenlidern giftgrüne Blicke verbergen, ganz leise mit den Zähnen knirschen, seinem Gesprächspartner einen Stuhl mit tückischem Stachel oder mit klebrigem Überzug anbieten, wenn in der Seele durchaus keine Bitternis vorhanden ist, sondern lächelnde Erinnerungen dem Gedanken wehren, wenn man sein bHerz voller Dankbarkeit und kindlicher Freude fühlt, wenn man sich am liebsten einhundert Ruhmesgöttinnen mit Riesentrompeten wünschte, damit man allem, was uns lieb ist, sagen könnte: ich bin einen Tag glücklich gewesen. Eine kleine Regung kindlicher Eitelkeit veranlaßte mich zu diesem Anfang; ich suchte, gegen meinen Willen, Sie nachzuahmen, Sie, den unnachahmlichen Ironisten. Das soll mir nicht wieder passieren. Ich habe in unsern Gesprächen zu oft bedauert, Sie nicht zu einem ernsthaften Tone bewegen, noch den krampfhaften Griff Ihrer Krallen aufhalten zu können, selbst in den Augenblicken, da Sie die schönsten Sammetpfoten zu machen glauben, Tigerkatze, die Sie sind, leo quaerens quem devoret. Und doch: wieviel Empfindsamkeit, wieviel Phantasie ohne Galle ist in Ihren Worten! Wie singen Sie in Dur, wenn Sie wollen! Wie braust Ihr Enthusiasmus in vollem Strome dahin, wenn die Bewunderung Sie unversehens ergreift und Sie sich vergessen! Welch unendliche Zartheit lebt in einer verborgenen Falte Ihres Herzens für das Land, daß Sie so sehr verspottet haben, für diese fruchtbare Erde der Dichter, für dieses Vaterland der träumenden Genien, für dieses Deutschland, daß Sie Ihre alte Großmutter genannt haben und das Sie trotz allem so sehr liebt!" ....
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